W. Schneider (Hg.): Das Urbar des Heilig-Geist-Spitals zu Bozen von 1420

Titel
Das Urbar des Heilig-Geist-Spitals zu Bozen von 1420.


Herausgeber
Schneider, Walter
Erschienen
Innsbruck 2003: Universitätsverlag Wagner
Anzahl Seiten
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
René Wetzel

Das Bozner Heiliggeistspital wurde im Jahre 1271 in Anlehnung an den Hospitalorden vom Heiligen Geist und nach Vorbild der römischen Erzbruderschaft Santo Spirito in Sasso als bürgerliche Gründung im Zuge der städtischen Wohlfahrtspolitik eingerichtet. Im Unterschied zum bereits bestehenden Johanneshospital des Deutschen Ordens war das ‘neue Hospital’ von Anfang an eine bürgerlich-städtische Institution und wirkte dadurch als «Katalysator für die Ausformung des Selbstverständnisses der werdenden Stadtgemeinde» (S. XV). Das Spital stellte das ganze Mittelalter hindurch eine der wichtigsten sozialen Institutionen der Stadt dar, sie war für die Krankenpflege, Armenunterstützung sowie für die Betreuung der Waisen und Obdachlosen verantwortlich. Die ursprüngliche Laienbruderschaft löste sich offenbar in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt die Bestellung des Spitalvorstandes und damit die Kontrolle der Institution wohl zunächst durch den Tiroler Landesherrn, im 15. Jahrhundert dann durch die Stadt bzw. den Stadtrat selbst erfolgte. Für 1319 ist die erste Einpfründung in das Spital urkundlich belegt, doch wurde dieses in seiner Geschichte nie, wie sonst häufig bei vergleichbaren Institutionen (etwa in Brixen und Klausen) zu beobachten, zu einer blossen Pfründneranstalt, sondern blieb bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ein städtisches Krankenhaus (Neubau Mitte des 19. Jahrhunderts in der Stadt selbst; Ersetzung durch das Landeskrankenhaus in Moritzing in der zweiten Hälfte des 20. Jhs.). Auch ging das Spital nie in geistliche Hände über. Die eigentliche Leitung übernahm schon früh ein meist auf Lebenszeit bestellter Spitalmeister, der zumeist von seiner Frau unterstützt und von zwei Pflegern kontrolliert wurde, welche in wichtigen Entscheidungen befragt und vor denen (und dem Stadtrat) die jährliche Rechnung abgelegt werden musste. Diese – im 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ‘oberste Verwalter’, dann ‘Obriste’ des Spitals genannten – Pfleger wurden zumeist von Landrichtern und angesehenen Familien der Stadt gestellt, im 15. Jahrhundert durchwegs von Ratsmitgliedern (paritätisch je ein Adliger und ein Bürger), so dass zu Recht behauptet werden kann, dass die «Spitalverweserschaft [...] im cursus honorum der Bozner politischen Elite eine herausragende Rolle gespielt zu haben [scheint]», wovon etwa im 14. Jahrhundert besonders auffällig viele Aufsteigerfamilien wie die Botsch oder die Vintler profitierten.

Von seiner Gründung weg war das Heiliggeistspital reich mit Grund- und Hausbesitz in Bozen selbst und der näheren Umgebung dotiert, wovon ein beeindruckendes Urbar von 1420 zeugt (Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, Urbar 140/1), das selbst wohl eine aktualisierte und neu konzipierte Version eines heute verlorenen Urbars von 1413 darstellt und von welchem jetzt eine Edition vorliegt. Es belegt, dass das Spital zu dieser Zeit eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste der Grundherrschaften der Region darstellte und dass ihr dadurch eine Schlüsselposition in der städtischen Ökonomie zukam. Das Urbar ist eine Quelle ersten Ranges für die spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte des Bozner Raumes, doch erweist sie sich ebenso ergiebig für prosopographische, sozialtopographische wie überhaupt für sozial-, stadt- und institutionengeschichtliche Fragestellungen und ist eine Fundgrube für die Orts- und Personennamenforschung.

Walter Schneider, der sich wiederholt kundig mit dieser Quelle beschäftigt hat und als ihr bester Kenner bezeichnet werden kann, drängte sich als Herausgeber des Urbars geradezu auf. Im Einleitungsteil (S. IX–LVI) zur Edition gibt er zunächst einen Überblick über die Geschichte des Bozner Heiliggeistspitals und stellt die im Detail vielleicht noch etwas zu korrigierenden und zu ergänzenden Listen der Spitalmeister, Spitalverweser und Spitalschreiber bis 1600 zusammen. So ist etwa Witlin von Weggenstein in den Urkunden des Heiliggeistspitals nicht nur für 1370, sondern darüber hinaus bis 1373 als Spitalverweser nachzuweisen. Die Belege für Niklaus Vintler in dieser Funktion enden in den Quellen 1398 und reichen nicht wie in Schneiders Liste bis 1401, in welchem Jahr er nur noch in einem Kanzleivermerk einer herzoglichen Urkunde für das Spital genannt wird, an welcher er wohl als landesfürstlicher Amtmann beteiligt gewesen sein dürfte und nicht zwingend als Spitalverweser. In der gleichen Liste fehlt zudem ganz der Name des Hans Chastner, der im Urbar drei Mal als Pfleger des Spitals auftaucht und der nach Schneiders eigenem Nachweis im Editionsteil (Nr. 45, Anm. 2) 1403 urkundlich in dieser Funktion nachzuweisen ist.

Nach diesem Überblick wendet sich Schneider dem Urbar von 1420 zu, welches als Zinsurbar Spitalgebäude und Eigenbaugüter nicht verzeichnet. Der übrige Liegenschaften- und Rentenbesitz konzentriert sich in erster Linie auf das Stadtgericht Bozen sowie die Landgerichte Gries und Bozen, liegt aber auch darüber hinaus am Ritten, in Jenesien, im Überetsch und im Unterland, in Terlan, Andrian, Nals und im Vinschgau. Das Gliederungsprinzip der Quelle ist im Vergleich mit anderen Spitalurbaren insofern einmalig, als es sich nach Zinsgattungen – Geld-, Korn- und Weinzinse, wobei zusammen mit den Geld- und Kornzinsen auch Weisatabgaben aufgeführt werden – orientiert und hier wiederum einer Anordnung nach Zinsterminen folgt. Die Angaben sind ausserordentlich aussagekräftig, indem nicht nur die zinspflichtigen Objekte genannt werden, sondern oft auch die Stifter oder Verkäufer, dazu der Kaufpreis und die Personen, die beim Rechtsakt handelnd zugegen waren, mitsamt ihren Funktionen. Erwähnt werden öfters auch die Vorbesitzer, die aktuellen Bauleute, dann auch die Anrainer, was in sehr vielen Fällen zu einer genaueren Lokalisierung der Güter bis heute beitragen kann, die Schneider übersichtlich auf fünf topographischen Faltkarten am Schluss des Bandes präsentiert.

Ein zweiter Abschnitt der Einleitung beschäftigt sich mit der edierten Handschrift. Als dessen Verfasser nennt sich der Bamberger Johannes Braun, der in Bozen urkundlich ab 1397 und bis 1439 als Notar und für 1412–1420 als Spitalmeister des Heiliggeistspitals zu belegen ist. Auf ihn dürfte das Konzept des Urbars zurückgehen, für dessen Zusammenstellung ihm zwei Gehilfen zur Verfügung standen, deren Einträge bzw. Abschriften aus älteren Vorlagen Braun gelegentlich korrigierte bzw. aktualisierte. Verschiedene Nachträge erstrecken sich bis in das beginnende 17. Jahrhundert hinein.

Die sorgfältige kodikologische Beschreibung der Handschrift wurde in die kompetenten Hände von Gustav Pfeifer (Südtiroler Landesarchiv) gelegt.

Im letzten Teil der Einleitung entwirft Schneider summarisch eine Skizze zur wirtschaftsgeschichtlichen Auswertung des Urbars. Dabei erstaunt es natürlich nicht, dass sich in der Stadt Bozen der Zinsgüterbesitz vor allem aus Häusern und dazugehörigen Gärten zusammensetzt. Die Höfe im Landgericht Gries und Bozen (etwa die Hälfte aller Höfe) bestehen in erster Linie aus Weingütern, während die Berghöfe vor allem Feld- und Milchwirtschaft betreiben und den hohen Eigenbedarf des Spitals an Korn decken. Als wichtigster Wirtschaftsfaktor erweist sich natürlich der Wein, der in spitaleigenen Torggeln auch selbst verarbeitet und gekeltert, der aber auch in Eigenregie ausgeschenkt und im Fernhandel vertrieben wurde. Gut beschreiben lässt sich anhand des Urbars die Zusammensetzung der Bauleute, die sich etwa im Landgericht Gries und Bozen aus der städtischen Bevölkerung und den umliegenden Dörfern rekrutierten. Flagrant erscheint die hohe Fluktuationsrate bei der Besetzung der Höfe.

Verschiedene Diagramme veranschaulichen die Ergebnisse, wobei dasjenige zur Chronologie des Grundbesitzerwerbes (S. XLII) aus dem Rahmen fällt: Da das Urbar keine Angaben über den Zeitpunkt der Schenkungen und Käufe macht, war Schneider hier auf die überlieferten Urkunden des Heiliggeistspitals angewiesen. Dabei fällt im Diagramm auf, dass für die Zeit von 1371 bis 1420 die Zahl der Stiftungen und Käufe ganz drastisch abnimmt, was S. XV kommentarlos als Tatsache hingenommen wird. Der Grund für den Einbruch dürfte jedoch nicht nur mit den Auswirkungen der Pest zu tun haben, sondern in erster Linie in der Überlieferungsgeschichte des Archivs zu suchen sein, das unvollständig und zum Teil zerstreut die Jahrhunderte überdauert hat. So sind nach Auskunft der Regesten von Hannes Obermair (Die Bozner Archive des Mittelalters bis zum Jahr 1500. T. 1. Ungedr. Diss. Innsbruck 1986) für 1392/93, 1399, 1400, 1402, 1405–1408 überhaupt keine Urkunden erhalten, für andere Jahre der Periode nur einzelne, was sich plausibel nur durch Verluste erklären lässt.

Die Edition selbst (S. 1–143, 434 Nummern), die durch eine kurze Speiseordnung – eine der frühesten im deutschsprachigen Raum überhaupt – eingeleitet wird, begleitet ein knapper, aber sehr hilfreicher und nützlicher doppelter Apparat zu Text und Inhalt, der auch Literaturhinweise zu einzelnen Personen, Orten und Institutionen gibt. Ein umfangreiches Personen- und Ortsregister einerseits, sowie ein Sachregister andererseits vervollständigen den Band und ermöglichen einen raschen Zugriff auf die Edition nach selbstgewählten Suchbegriffen, wobei im Sachregister nicht ganz klar wird, nach welchen Kriterien frühneuhochdeutsche oder heutige neuhochdeutsche Begriffe als Lemmata gewählt wurden («pauen, pawen, bewirtschaften», aber «Bauer, pawer»; «anich, ainich, Enkel», aber «Bruder, pruder, prueder»). Im Personen- und Ortsregister ergibt eine Stichprobe, dass unter den Einträgen zu Niklaus Vintler seine wichtige Stiftung des ewigen «Samstaggeldes», das allen Kranken auszuzahlen war (Nr. 137), vergessen wurde bzw. nur über das entsprechende Stichwort im Sachregister zu finden ist. Diese kleinen Mängel überwiegt jedoch bei weitem die insgesamt sehr solide Arbeit, die Walter Schneider mit seiner Edition geleistet hat, und vor allem sein Verdienst, der Forschung eine äusserst ergiebige Quelle bereitgestellt zu haben.

Zitierweise:
René Wetzel: Rezension zu: Das Urbar des Heilig-Geist-Spitals zu Bozen von 1420. Bearb. von Walter Schneider. Innsbruck, Universitätsverlag Wagner, 2003 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 17). Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 4, 2004, S. 453-455.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 4, 2004, S. 453-455.

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